ISO 9001: Die Philosophie der Norm verstehen
ISO 9001 ist das weltweit verbreitetste und erfolgreichste Managementsystem. Unternehmen weisen durch eine ISO-Zertifizierung nach, dass sie die Standards im Qualitätsmanagement einhalten.
Was allerdings nur wenige beachten: ISO 9001 ist mehr als nur eine Norm, die aus zahlreichen Anforderungen besteht. Hinter ISO 9001 steckt die Philosophie eines (fast) automatisch funktionierenden Unternehmens. Eines Unternehmens, das durch klare Geschäftsprozesse und Zuständigkeiten, eine hohe Kundenorientierung und kontinuierliche Verbesserung einzigartige Wettbewerbsvorteile entwickelt und erfolgreicher ist als seine Mitbewerber. In diesem Artikel lernen Sie die Philosophie hinter der ISO 9001-Norm kennen.
Warum wurde ISO 9001 entwickelt?
Um zu verstehen, warum ISO 9001 entwickelt wurde, ist es sinnvoll, sich zwei Unternehmen vorzustellen. Eines, in dem ISO 9001 nicht implementiert wird, und das andere, das nach den Prinzipien dieser Norm arbeitet.
Der Einfachheit halber nennen wir die Unternehmen das „chaotisch“ geführte Unternehmen und das nach ISO 9001 geführte Unternehmen. Das dient dem Verständnis. Selbstverständlich sind Unternehmen, die nicht nach ISO 9001 arbeiten, nicht automatisch chaotisch.
Kategorie | „Chaotisch“ geführtes Unternehmen | Nach ISO 9001 geführtes Unternehmen |
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Unternehmensstrategie | Das Unternehmen arbeitet wahllos Aufträge ab, die hereinkommen. Unternehmensziele sind nicht definiert. Man nimmt was kommt. | Das Unternehmen hat klare Ziele und Vorstellungen hinsichtlich seines Marktes und seiner Zielgruppe. Es entwickelt seine Angebote entsprechend. |
Kundenorientierung | Kundenfeedback erreicht das Unternehmen unstrukturiert, mitunter gar nicht. Ob z.B. Kritik an Produkten und Dienstleistungen das Unternehmen erreicht, ist mehr oder weniger Zufall. | Das Unternehmen legt Wert auf einen hohe Kundenorientierung: Kundenzufriedenheit wird regelmäßig gemessen, Feedback in strukturierter Art und Weise erhoben. |
Zuständigkeiten | Im Unternehmen ist irgendwie jede bzw. jeder für alles zuständig. Klare Aufgabenprofile und Kompetenzbereiche gibt es nicht oder sie ändern sich ständig. | Durch Aufgaben- und Rollenbeschreibungen ist klar erkennbar, wer wofür zuständig ist. Für alle Themen gibt es fest definierte Ansprechpartner. |
Prozesse und Abläufe | Dinge werden mal so und mal so erledigt, es gibt keine fest definierten Prozessschritte und -abläufe. Das Ergebnis eines bestimmten Vorgangs hängt mehr oder weniger vom Engagement und der Tagesstimmung einzelner Beschäftigter ab. | Für viele oder sogar fast alle Abläufe im Unternehmen gibt es klar beschriebene Vorgehensweisen und eine Beschreibung der zu erzielenden Ergebnisse. Die Erledigung von Sachverhalten ist kein Zufall, sondern strukturiert organisiert. |
Die Gegenüberstellung dieser beiden fiktiven Unternehmen soll – etwas überspitzt – den Kern von ISO 9001 darstellen.
- Der Idealzustand, den ein Unternehmen durch die Einführung eines Managementsystems nach ISO 9001 erreicht, ist die eigenständige Weiterentwicklung.
- Spitzenleistung ist kein Zufall, sondern organisatorisch verankert.
- Die Weiterentwicklung eines Unternehmens hinsichtlich schlankerer Geschäftsprozesse, sinkender Kosten durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess und Prozessoptimierung erfolgt praktisch aus sich selbst heraus, weil es in der DNA eines Unternehmens verankert ist und von allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gelebt wird.
Warum ISO 9001:2015 so viele Interpretationsspielräume lässt
Viele Führungskräfte und Beschäftigte in Unternehmen – aber auch Auditoren und Auditorinnen von Managementsystemen – machen den Fehler, dass sie eine Norm wie ISO 9001 primär als ein Abarbeiten von Checklisten sehen.
- Besteht ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess?
- Sind im Prozessmanagement alle Abläufe korrekt beschrieben?
- Sind alle Stellenbeschreibungen genauestens definiert?
Doch das sture Abarbeiten von Checklisten widerspricht dem Geist von ISO 9001!
Bis 2015 war ISO 9001 tatsächlich deutlich stärker durch Formalismen geprägt als heute. So war es beispielsweise erforderlich, Qualitätsmanagementbeauftragte im Unternehmen zu etablieren und ein Qualitätshandbuch zu erstellen. Das hatte einen enormen bürokratischen Aufwand zur Folge, weshalb das Managementsystem – entgegen dem Willen der ISO (International Organization for Standardization) viele kleine und mittlere Unternehmen nicht erreichte. Für sie war der formalistische Aufwand schlicht und ergreifend zu groß.
Durch die Revision der Norm im Jahr 2015 bietet ISO 9001 Unternehmen einen deutlich größeren Spielraum. Gerade auch im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung ist heute z.B. kein Qualitätsmanagementhandbuch mehr erforderlich. Es ist wichtiger, dass Unternehmen im Geist der Norm handeln, als dass bürokratische Formalien erfüllt werden.
Entsprechend verändert sich auch die Rolle von Auditoren und Auditorinnen. Verlief ein Audit früher fast wie eine TÜV-Prüfung bei einem Kraftfahrzeug streng nach Checkliste, sind Auditoren und Auditorinnen heute vielfach Coaches bei der Anwendung und Umsetzung des Managementsystems.
Natürlich müssen sie weiterhin prüfen, inwieweit die Regularien von Normen wie ISO 9001 eingehalten werden, jedoch sind die Kriterien zur Erteilung einer ISO-Zertifizierung ebenfalls interpretierbarer als früher.
Fazit: ISO 9001:2015 hat das Ziel, Unternehmen besser zu machen
Bringt man es auf den Punkt, lässt sich als Kern der ISO 9001-Philosophie folgendes festhalten: Es geht darum, Unternehmen zu größerem Erfolg und mehr Wachstum zu verhelfen.
Auch andere Normen wie ISO 56002, die ISO-Norm zum Innovationsmanagement, verfolgen dieses Ziel. Es geht nicht darum, Innovation zu normieren und zu standardisieren, sondern ein Managementsystem zu entwickeln, das Unternehmen bei der Entwicklung neuer und innovativer Wege unterstützt.
Dieser veränderte Geist und das Verständnis von dem, was die Norm eigentlich ist, wird sich in den nächsten Jahren weiter durchsetzen. In Zukunft wird Qualitätsmanagement nach ISO 9001 nicht nur als Checkliste, sondern vor allem auch als Philosophie zum Management exzellent arbeitender Unternehmen verstanden werden.